Sabine Pollak
Köb&Pollak Architektur, Wolfurt/Wien

»Denke nicht in Korridoren!« ist eine Anleitung für ein ungewohntes und doch erschwingliches Wohnen. Das Motto ist zweideutig. Geht es um zukünftiges Wohnen, sollte man mit Konventionen brechen und nicht in Korridoren denken. Andererseits sind Korridore brauchbare Erschließungselemente und bieten Chancen für neue Nutzungen. Sie machen Treppen und Lifte überflüssig und erzeugen entlang ihrer Längsachse die Möglichkeit zur Kommunikation. »Denke nicht in Korridoren !« rehabilitiert den oft als zu lang, zu dunkel, zu eng diskreditierten Gang. Aus Gängen werden Erweiterungen zum Wohnen, Stauräume, Galerien, Marktzonen, Passagen und Wintergärten zugleich. »Denke nicht in Korridoren !« ist ein Appell, wie aus einfachen Gängen komplexe Korridore werden können. Der private Raum wird kleiner, das Wohnen wird preiswerter und einer drohenden Isolation wird vorgebeugt. Es kommt allerdings auf die richtigen Maße, Proportionen, Belichtungen und Atmosphären an.

Das Private des Wohnens wird neu verhandelt. In einer Gesellschaft, die die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen neu austariert, die mit der vielbeschworenen Anonymität der Großstadt bricht und die Öffentlichkeit in ihre Lebenswelt einbindet, stellen sich geänderte Anforderungen an das Wohnen. Fern von Konventionen und Traditionen wie Familie, Alter, Herkunft und Geschlecht sind die Verschränkung des Privaten und der Nachbarschaft im Wohnen sowie der Umfang und die Ausstattung des persönlichen Wohnraums im Verhältnis zu gemeinschaftlichem Wohnraum neu zu verhandeln. Damit sind Fragen an die grundsätzlichen Anforderungen des Wohnens verbunden sowie Fragen, wie die veränderten Anforderungen im privaten und öffentlicheren Wohnbereich räumliche Entsprechungen finden. Es geht darum, in der Öffentlichkeit des Nahbereichs ein Geflecht des Austauschs und des Miteinanders zu ermöglichen und sich im eigenen Wohnbereich auf das Notwendige zu reduzieren.

Korridore ermöglichen Kommunikation. Dem Korridor kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Er ist die Verbindung zwischen innen und außen, zwischen öffentlich und privat. Er ist Kommunikator in einer sich im Rückzug befindenden Gesellschaft. Am Korridor werden Grenzen verhandelt. Hier stülpt sich Inneres nach Außen, hier werden Einblicke in die Privatheit der Menschen möglich, hier erschließt sich den Individuen die Möglichkeit, andere zu treffen und mit anderen zu sprechen. Korridore erzeugen die notwendige Reibung zwischen Körpern. Das feudale Treppenhaus erschließt die bürgerliche Wohnung, der Korridor die kommunale. Am Korridor sind die Bedingungen gleich.

Das Haus ist eine kleine Stadt. Die Rituale des Wohnens ändern sich, Haus- und Wohnungstypologien bleiben gleich. Das Motiv des Korridors setzt bei neuen Ritualen an, hinterfragt die Unabdingbarkeit einzelner Räume wie Wohn-, Ess- oder Schlafzimmer und schafft zugleich konstruktive »Reibung«. Wenn der Rückzug in soziale Netzwerke größer wird, müssen Räume für direkte Kommunikation gebaut werden. Korridore sind solche Reibungsräume. Erschließungssysteme sind Korridore im weitesten Sinn und mehrfach zu kodieren. Sie sind straßenähnliche Systeme. Daran andockende Wohnungen sind kleiner als bisher, die Öffnung auf die »Straße« kompensiert knappen Raum. Ein Set an Eigenschaften sichert die Qualität und die Nutzbarkeit der Korridore: natürliches Licht, Breite, Höhe und Zuschnitt, Materialien, Verbindungen, Aus- und Einblicke. Die Nutzung und die Verfügung über die »Korridore« muss vertraglich neu verhandelt werden. Der Korridor liegt entweder innen und ist geringfügig beheizt oder er liegt außen und ist kalt. Jede dieser Situationen verlangt andere Qualitäten.